Der Ex-Chefbeamte, der nicht zu bremsen ist
Von Claudia Blumer.
Tages Anzeiger
02.11.2012
Philippe Roch hat der Zweitwohnungsinitiative zum Erfolg verholfen. Nun wirbt er für die Ecopop-Initiative, welche die Zuwanderung beschränken will und heute in Bern eingereicht wurde.
Liess als Buwal-Direktor Grüne und SP in Umweltfragen weit hinter sich: Philippe Roch. Bild: Eddy Mottaz
Initiative eingereicht
Die Organisation ECOPOP hat ihre Initiative «Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» mit über 120'000 beglaubigten Unterschriften eingereicht. Das Volksbegehren hat zwei Stossrichtungen: Einerseits soll der Bund verpflichtet werden, 10 Prozent der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit für die freiwillige Familienplanung in Entwicklungsländern einzusetzen. Andererseits soll die Zuwanderung in die Schweiz auf jährlich 0,2 Prozent der Bevölkerung beschränkt werden. «Wir sehen kein Ausländerproblem» Dieses Anliegen hat den Initiantinnen und Initianten den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit eingetragen und die Umweltorganisationen auf Distanz zur Initiative gehen lassen. Vor den Medien in Bern wies das Initiativkomitee am Freitag den Vorwurf weit von sich: «Wir sehen kein Ausländerproblem», sagte etwa Dieter Steiner, emeritierter ETH-Professor und Mitglied des Initiativkomitees. Philippe Roch, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Umwelt, der im Unterstützungskomitee sitzt, sprach von einer «völlig hysterischen Reaktion» der Medien. Wer das Bevölkerungswachstum aufs Tapet bringe, werde sofort als Nazi oder ähnliches abgestempelt. Er plädierte dafür, dieses Tabu zu brechen und eine offene und demokratische Debatte über das Thema zu führen.(sda)
Die Initiative «Stopp der Überbevölkerung» ist politisch schwer einzuordnen. Die Initianten sind globalisierungskritisch, grün, sie haben einen Hang zur Spiritualität und keine Berührungsängste mit SVP-Themen. Ihre Initiative zur Zuwanderungsbeschränkung geht noch weiter als jene der SVP.
Philippe Roch, bis 2005 Direktor des damaligen Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal), verkörpert diese ungewöhnliche Komposition fast perfekt. So verwundert es nicht, dass der 63-jährige Genfer heute Freitag in der Reihe der Initianten Platz nahm, die im Berner Käfigturm den Journalisten ihr Anliegen erklärten.
Amtsdirektor mit Tatendrang
Roch war einer jener Bundesbeamten, die mit den Jahren seltener geworden sind und die es heute kaum noch gibt: Sein Tatendrang und die kaum verhohlenen persönlichen Überzeugungen brachten ihm ständig den Vorwurf ein, er würde politische Entscheide fällen.
Der ehemalige Genfer CVP-Kantonsparlamentarier positionierte sich stets «rechts der Mitte». Doch in Umweltfragen liess er Grüne und SP weit hinter sich. Es war sein Parteikollege Flavio Cotti, damaliger CVP-Innenminister, der den WWF-Direktor Philippe Roch 1992 an die Spitze des Buwal holte.
Dieser fühlte sich dort nicht lange wohl, denn sein Handlungsspielraum als Direktor war beschränkt. Am deutlichsten bekam er dies zu spüren, als er 2001 einen Freisetzungsversuch von gentechnologisch verändertem Weizen der ETH Zürich ablehnte und damit zum wiederholten Mal Empfehlungen der beratenden Kommission überging. Dass Kommissionsmitglieder unter Protest zurücktraten, hätte er verkraftet. Viel mehr schmerzte ihn, dass sein Vorgesetzter, Bundesrat Moritz Leuenberger, den Entscheid rückgängig machte.
An der kurzen Leine gehalten
Man hätte meinen müssen, der Umweltschützer Roch würde sich mit dem SP-Bundesrat gut verstehen. Doch die Zusammenarbeit war von Anfang an schwierig. Verkehrsminister Leuenberger wurde 1998 nach einer Umsiedelung des Buwal vom Innen- zum Verkehrsdepartement nur widerwillig Umweltminister. Dass der Amtsdirektor oft im Ausland an Konferenzen weilte, passte Leuenberger nicht. Er müsse sich entscheiden, beschied er ihm: Reisen oder das Buwal führen. Roch entschied sich für Letzteres und reduzierte sein Auslandengagement. Doch die Differenzen waren nicht beseitigt. Sie eskalierten immer wieder, sodass Leuenberger und Roch zeitweise nur noch schriftlich miteinander verkehrten, wie sich Nahestehende erinnern.
Nach seinem Rücktritt äusserte sich Roch unverblümt über Leuenberger. Dieser interessiere sich nicht für die Natur, sagte er in einem Interview mit der Zeitschrift «L’Illustré» und unterstellte seinem Ex-Chef, sich nur aus taktischen Gründen für das Klima engagiert zu haben. Dass Roch an der kurzen Leine gehalten worden war, schmerzte ihn auch nachträglich noch: «Ich habe einen Brief von Moritz Leuenberger aufbewahrt, in dem er mir klar mitteilt: Ich bin der Chef.» Sein Fazit: «Bei der Bundesverwaltung misstraut man guten Leuten.»
Kein pflegeleichter Chef
Von ehemaligen Mitarbeitern und Beobachtern wird Roch nicht ausschliesslich als «gut» beurteilt, aber überwiegend positiv. «Er war ein hervorragender Kommunikator, aber kein pflegeleichter Chef», sagt Rolf Wespe, ehemaliger Buwal-Sprecher. Manchmal sei Roch übers Ziel hinausgeschossen, etwa beim abschlägigen Gentechentscheid von 2001. «Er hat damals dem zuständigen ETH-Professor schlechte Arbeit unterstellt. Das wäre nicht nötig gewesen», sagt Wespe. Roch habe aber eine «sensationelle Einstellung» zur Öffentlichkeitsarbeit gehabt: «Über Probleme im Umweltbereich durften wir präventiv kommunizieren, das war einzigartig.»
Gern erinnern sich auch Bewohner des Jura an Philippe Roch: Als die Kontroverse um das ungelöste Problem der Sondermülldeponie in Bonfol 2000 aufflammte, setzte sich der promovierte Biochemiker gegen die Chemiekonzerne durch und erwirkte eine Sanierung.
«Kollaps der Wirtschaft droht»
Seit seinem Rücktritt vor sieben Jahren widmet sich Roch, der mit seiner 16-jährigen Tochter in Russin GE lebt, dem Garten, der Meditation und dem Schreiben über sein Lieblingsthema: «die Beziehung zwischen Mensch und Natur». Die mit der Demografie verbundenen Probleme würden in der Schweiz negiert, sagt er. «Das ist gefährlich. Denn wir haben heute das Glück, eine Insel zu sein. Aber das wird nicht immer so bleiben. Wenn alles zubetoniert ist und die Ressourcen aufgebraucht sind, kollabiert die Wirtschaft.»
Roch ist nicht Mitglied im Komitee der Ecopop-Initiative. Die Initianten haben ihn als Aushängeschild an Bord geholt, nachdem er bei der Zweitwohnungsinitiative zum Erfolg beigetragen hatte. Vom Wortlaut der Ecopop-Initiative ist Roch nicht vollends überzeugt. Die Zahl von 0,2 Prozent, auf die sich das jährliche Bevölkerungswachstum beschränken soll, hätte er lieber nicht in die Verfassung geschrieben, obwohl er sie für plausibel hält. Wichtig sei ihm, dass eine Debatte entstehe. «Vielleicht macht ja das Parlament einen Gegenvorschlag, der noch besser ist.»